Herbstoffensive der AfD

Am Samstag, 07.11.2015, lud die AfD zum Abschluss ihrer Herbstoffensive am Roten Rathaus in Berlin ein. Mehr wusste ich nicht – es war genug, um einen Freund zu mobilisieren und von der Friedrichstrasse aus die Gegendemonstration zu suchen.

An einem sonnigen Herbsttag liefen wir also Unter den Linden entlang, in Richtung Bebelplatz, dem Ort, an dem vor 70 Jahren unter rechtspopulistischem Gejohle tausende Bücher jüdischer Mitmenschen verbrannt wurden.

Um 12 Uhr Mittags war es noch problemlos, durch die von der Polizei vorbereiteten Absperrungen hindurchzutreten. Gleich drei Reihen an Metallgittern… Offensichtlich rechnete man mit Rangeleien. Ich malte mir Menschenmassen aus, die Hass- und Angsterfüllt aufeinanderprallen wollen.

Auf der einen Seite die AfD-Anhänger, ein merkwürdiger, bunter Haufen aus aufgesogenen Pegida-Marschierern, Neonazis und konservativen Spießbürgern, die generell gegen Veränderung und die aktuellen Regierung sind – was immer sie auch sein mag.

Auf der anderen Seite der bekannte Pulk der Gegner, eine Mischung aus Antifa und “besorgten Bürgern” – eine Bezeichnung, die AfD und Pegida für sich annektieren will. Ich bin auch besorgt. Wie viele heute will ich demonstrieren, weil ich schockiert darüber bin, wie schnell rechte Hetze und Gewalt gewachsen ist und nun das Bild von Deutschland trübt. Ich bin schlicht fassungslos, weil ich nicht weiss, wie es aufzuhalten ist. Mein Freund erzählt mir, Deutschlandweit würden mittlerweile 8% der Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen. Bei einer Partei, die bis vor kurzem nicht ernstgenommen wurde, weil sie eh nur eine kleine Version der NPD darstellte.

Angeblich hat die CDU ihre rechten Wähler verloren. Das sollte ein Grund zur Freude sein, und die CDU hat zur Gegenkundgebung am Brandenburger Tor aufgerufen – auch neu, auch lobenswert. Nur fühlt sich die Fraktion der konservativen Deutschen, die die CDU verlassen haben, selbst auch verlassen – und verloren. Und findet ihre Stimme wieder durch Frauke Petry und ihre AfD, die sie nur zu gerne wieder aufsammelt. Und so sind sie nun am Roten Rathaus wiederzufinden, wo die AfD nun unglaubliche 5000 Anhänger mobilisieren konnte.

Der Bebelplatz ist leer. Wir laufen in Richtung Süden und finden die Gegenbewegung am Gendarmenmarkt. Allen voran wie üblich schwarz gekleidete Antifa, weiter hinten sind Sambatrommeln zu hören und bunte Fahnen sorgen für etwas Farbe und ausgelassene Stimmung.

Ausgelassen aber ernst. Jeder hier weiss, dass es ein großes Problem gibt. Unsichere und ängstliche Menschen werden von der rechten Bewegung gezielt angesprochen und eingefangen, allen voran im Internet. Jede noch so simple Online-Community wird in kürzester Zeit von rassistischen Trolls belagert und mit Hetze, Fehlinformationen über “Konsumflüchtlinge” und fiesen Videos gefüllt. Die Moderatoren dieser Webseiten haben momentan alle Hände voll zu tun. Wird ein Troll übersehen, kann es schnell ausufern und hunderte von Kommentaren hervorzaubern, darunter auch viele Befürworter der Einstellungen, dass man nicht alles in den Medien glauben sollte und die meisten der Flüchtlinge nur nach Deutschland kommen, weil sie auch endlich mal einen LCD-Fernseher haben wollen.

Wir entscheiden uns dazu, den schwarzen Block etwas an uns vorbeiziehen zu lassen. Mein Freund sagt, Gewalt sollte auf keiner Seite eine Rolle spielen. Sehe ich auch so, sage ich. Das stimmt zwar, aber tief in mir wächst ebenfalls die Frustration, keine Lösung zu haben. Zusehen zu müssen, wie die braune Meute immer mehr Zuwachs erhält. Früher, also quasi noch letztes Jahr, konnte man eine rechte Demo noch am Bahnhof stoppen und sich darüber freuen, wie die Glatzen unverrichteter Dinge wieder umkehren mussten.

Heute ist es anders. Nazi-Demos sind nicht mehr unbedingt so deutlich, sondern gefüllt mit Senioren, Kindern und vermeintlich gebildeten Studenten und jungen Menschen in ganz normalen Klamotten. Und wir müssen zusehen, wie sie in die Kameras der Journalisten, die sie so hassen, die Parolen ihrer neuen Anführer wiedergeben: “Die Flüchtlinge vergewaltigen unsere Frauen und Kinder”, “Ganz Deutschland wird zum Islamischen Staat”, “Die Syrer können ja später wieder in ihre Heimat, UNSERE Heimat gibt es dann nicht mehr”.

Nie ist mir diese Problematik so deutlich geworden wie heute, dem Abschluss der “AfD-Herbstoffensive”.  Wir stehen noch am Gendarmenmarkt, eine Polizeiabsperrung hält den Zug davon ab, die Französische Strasse zu verlassen. Wie überaus weiträumig diese Absperrung ist erfahre ich erst später. Ein hübsches Antifa-Mädchen drückt mir einen Zettel in die Hand and flüstert “haltet Euch bereit!”. Kurz darauf öffnen sich an der Spitze der Masse ein paar grüne Regenschirme, das Zeichen zum Sturm: Die schwarze Front fliesst durch die Polizeiabsperrung, die Beamten sind erst überrascht aber handeln schnell. Mit Pfefferspray und dichtmachen. Die Demonstranten, die keinen Zettel in die Hand bekommen haben, bewegen sich mit der Masse, die dann wieder anhält. Alle sind etwas ratlos. Was passiert da vorne, geht es endlich weiter?

Jetzt ja, der Versuch ist fehlgeschlagen, also wie gehabt, rüber zum Bebelplatz. Die Gegendemostration sammelt sich dort, zum Erstaunen der fotografierenden Touristengruppen. Lautsprecher an einem VW-Bulli der Antifa sorgt für Musik, Information und Stimmung. Unter den Linden ist mittlerweile nicht mehr für uns erreichbar, die Polizei hat dichtgemacht. So leergefegt strahlt die vierspurige Allee eine angenehme Ruhe aus, dahinter liegt in der Sonne das Hauptgebäude der Humboldt-Universität. Für mich schon immer ein besonderes Wahrzeichen Berlins, das für wissenschaftliche Bildung und dem neugiereigen Erkunden der Welt steht. So schön es hier ist, ich frage mich, warum wir hier stehen. In einer halben Stunde beginnt ein paar hundert Meter weiter die AfD-Kundgebung am Roten Rathaus. Warum sind wir nicht dort? Ich versuche noch einmal, mehr Information zu googeln, ausser der Versammlung am Rathaus hatte ich zuvor nichts in Erfahrung bringen können.

Etwas sprachlos starre ich auf mein Handy. Die AfD hat geschafft, was der NPD und anderen rechten Demonstration verwehrt geblieben war. Die gesamte Unter den Linden- Allee hinunter, an allen historischen Gebäuden vorbei, bis zum Brandenburger Tor und von dort zum Hauptbahnhof. Eine riesige Strecke, gepuffert durch jede Menge Platz und Abstand. Mir wurde schlecht. Agfachrom-Bilder von Hakenkreuz-schwenkenden NSDAP-Anhängern, die Ihre vorbeiziehenden Massenmörder-Idolen zujubeln, kamen mit etwas Galle hoch. Heute würde wieder ein massiver Pulk an Nazis fröhlich winkend an den Gedenkstätten vorbeiwandern, an denen sich vor 70 Jahren so fürchterliches zugetragen hat. Und es gab nichts, was man dagegen tun konnte.

 

Ich blickte auf. Der Bebelplatz war beinahe leergefegt. Der Hauptteil der Gegendemonstration musste sich zum Roten Rathaus bewegt haben und auf der Suche nach einer Lücke sein, um die AfD-Bewegung zu blockieren. Es war kurz vor 13 Uhr. Wir machten uns auf, um uns einen besseren Überblick zu verschaffen.

Der einzige erreichbare Weg führte an den notorischen Baustellen Mittes vorbei, das Skelett vom Stadtschloss mit seinen Containern und Bauzäunen formte eine natürliche Abgrenzung. An der Brücke zur Rathausstrasse konnte man zum ersten Mal wieder etwas sehen. Ein paar Leute hatten sich auf das Spreeuferpromenade begeben und so versucht, an den Routenabschnitt am Berliner Dom heranzukommen. Natürlich keine Chance, die Polizei hatte diesen Flaschenhals problemlos gesichert. Auf der anderen Uferseite nutzten ein paar Antifas eine matschige Baustelle, um zur AfD-Kundgebung vorzustossen, die sich nun offensichtlich nicht am Rathaus, sondern vor dem AquaDom Spandauer Ecke Karl-Liebknecht-Str. versammelt hatte. Unter unser zustimmenden Rufen verschwanden die Aktivisten kurz von unseren Blicken, nur um uns Sekunden später wieder entgegengerannt zu kommen, mit einem Trupp Polizisten im Schlepptau.

Diese bauten sich auch gleich vor die übersehene Lücke im Bauzaun auf, das Pfefferspray im Anschlag. Um uns herum waren überall verteilt Gegendemonstranten und Kinder, so unschlüssig wie wir, wo wir denn nun hinsollten um überhaupt gesehen und gehört zu werden. Dann etwas Aufregung, weil in der Menge plötzlich ein paar Deutschlandfahnen auftauchten. Tatsächlich waren es verspätete AfDler, die jetzt nicht mehr wussten, wie sie zu ihren Leuten gelangen sollten. Etwas fassunglos mussten wir mitansehen, wie die Polizei sie sicher über dieselbe Baustelle geleitete, über die sie gerade die Antifas verscheucht hatte.

Wir gingen weiter, wollten näher ran. Die Kundgebung war massiv geschützt, der komplette Park gegenüber des Neptunbrunnens war abgesperrt. An der Kreuzung beim AquaDom war es nun, das Pack, das sich das Volk nennt, in all seiner Größe von angeblich 5000 Teilnehmern. An der Absperrung fanden wir unseren Gegenmob und die bunten Fahnen vom Bebelplatz wieder. Aber auch, mittendrin, AfD-Schilder und Deutschlandfahnen. Was war hier los? Ich drückte mich durch die Menschen, entlang der Absperrung, um es besser verstehen zu können. Auf dem Weg brannten sich Bilder in meinem Kopf fest. Ein Polizist, der sich lachend mit einem AfDler über uns unterhält. Ein wütender Mob, der sich “Nazis raus!”-skandierend an die Absperrung presst, direkt dahinter die Ursache der Aggression: Ein einzelner Mann, der müde lächelnd ein kleines Deutschlandfänchen schwenkt. Er steht und winkt und lächelt und geniesst. Heute haben wir gewonnen. Und ihr könnt nichts dagegen tun. Schreit, soviel ihr wollt – wir werden Euch zulächeln und zuwinken. Nennt ihr uns Nazis, wünschen wir Euch noch einen schönen Tag.

An der merkwürdigen Mischung von Antifa- und AfD-Symbolen angekommen, wird mir die Szene klar. Offensichtlich hatte es eine kleine Gruppe an AfDlern nicht rechtzeitig geschafft, zu ihren Leuten hinzuzustossen. Gegendemonstranten hatten ein kleine Blockade geformt, damit sie das auch zukünftig nicht schaffen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, so halt. Ich kam jedenfalls genau richtig, um zu sehen, wie die Polizei da nicht mehr mitmachte. Wie sie plötzlich eine riesige Wolke an Pfefferspray verfeuerte. Wie die Gegendemostranten, schreiend und mit brennenden Gesichtern, brachial in die herumstehende Menge geschoben wurde. Wie der Rollstuhlfahrer neben mir dabei beinahe zerdrückt wurde. Wie die AfDler dadurch schließlich doch zu ihresgleichen hinter die Absperrung schlüpfen konnten.

Ich habe nichts gegen Polizei, ich finde sie entgegen vieler Stimmen sogar ehrenwert und wichtig, gerade bei solch  Veranstaltungen, die ohne Deeskalation schnell gefährlich werden können. Aber die Polizei hatte gerade gewaltsam durchgesetzt, dass jemand an einer rechten Demonstration teilnehmen konnte. So etwas verwirrt mich genauso sehr, wie die Tatsache, dass dieser braune Spaziergang durch meine Stadt überhaupt stattfinden kann.

Ein rechter Mob aus 5000 Menschen, anzusiedeln in Fremdenfeindlichkeit und Rassismus setzt sich in Bewegung. Viele gehören der älteren Generation an, waren vorher vielleicht CDU-Wähler und wissen jetzt nicht mehr wohin, Hauptsache zu einer Partei, die mit der Rhetorik von Sarrazin noch was anfangen kann. Manche sind vielleicht nicht ganz so gebildet und lassen sich von den Geschichten der Menschen um sie herum betören. Manche sind schon lange bekannte Neonazis.

Ein linker Mob aus etwas über 1000 Menschen, der vor kurzem noch mit Trillerpfeifen hetzende Parolen übertönen konnte und Nazidemos im Keim ersticken konnte. Und jetzt, wohin. Die Route der AfD ist lang. Dort, wo sie nicht durch Gebäude oder der Spree geschützt werden, stehen Polizisten. Unter den Linden ist eine sehr breite Strasse, beinahe vier Spuren trennen die Gegenseiten.

Wir schreien trotzdem rüber. Dass sie sich schämen sollten, dass sie mit Nazis marschieren, dass Blut an ihren Händen klebt. Wir wissen nicht mal, ob sie uns hören können, so weit sind sie entfernt. Wir beeilen uns, um zurück zum Bebelplatz zu kommen. Es sind nicht viele von uns dort. Alle haben versucht, sich irgendwo entlang der Strecke an den Rand zu stellen. Aber dadurch haben wir uns auch dünn geschmiert. In der Ferne spazieren Nazis gemütlich an der Humboldt-Universität vorbei, lächeln, winken. Schreien “Nazis raus”, gegen uns gerichtet. Ab und zu pellt sich einer von ihnen ab und schlendert zu uns rüber. Stellt sich hinter einen Polizisten, grinst und filmt uns. Winkt und geht zurück zu “seinem Volk”.

Ich koche fast vor Wut und will ihnen diese Genugtuung nicht liefern. Lieber tue ich alles, was ich jetzt tun kann, und wenn das nur von einem Punkt zum nächsten rennen ist. Die AfD-Demo läuft langsam und in einer dünnen Schlange, es müssen also an jedem Nadelöhr, an dem wir uns aufhalten können, immer genügend von uns anwesend sein. Wir bräuchten eigentlich mindestens doppelt so viele Gegendemonstranten wie AfDler, um wirklich ein Zeichen zu setzen, aber nur ein Zehntel davon ist auf der Strasse. Dieser Fakt bestürzt mich noch mehr. Wo sind denn alle? Ich war früher auch nur bei zwei, drei Gegendemos. Ich fand es immer wichtig, aber manchmal war eben ausschlafen wichtiger. Da waren Nazis aber auch in der Minderzahl, es gab die NSU noch nicht und es gab genügend Leute, die dafür sorgten, dass der braune Mob in Schach gehalten wurde.

Jetzt gibt es keinen braunen Mob, es gibt Pegida, es gibt AfD. Unsere furchtbare Geschichte ist dabei sich zu wiederholen, die Partei, die damals ratlose, besorgte Bürger aufgefangen hat, hiess NSDAP und ihr Siegeszug endete in einem Weltkrieg und der Schlachtung Millionen von Menschen. Ausschlafen ist jetzt einfach nicht mehr drin.

Kurz vorm Brandenburger Tor macht die AfD-Route einen Knick und verschwindet kurzzeitig aus der Sicht, so als würde sie in einen Tunnel abtauchen. Der nächste erreichbare Punkt ist für mich der Hauptbahnhof, Ort der AfD-Abschlußkundgebung. Ich laufe vorbei an der Gegenveranstaltung, die von der SPD, CDU, Grüne, Linke und der Piratenpartei am Brandenburger Tor gehalten wurde. Ein “Gemeinsamer Aufruf für ein weltoffenes Berlin” – löblich durchaus, aber ich kann auf ersten Blick nicht erkennen, was es gebracht hat. Ausser Touristen, die Selfies von sich und der Quadriga machen, sind hier kaum Leute.

Ich eile am Reichstag vorbei, langsam werden meine Beine schwer. Es ist skurril, um mich herum sind nur Touristen, die von der erschütternden Szenerie, die gerade stattfindet, nichts mitbekommen. Am Hauptbahnhof angekommen, bin ich weit vom Bahnhof entfernt. Die Brücke wird von der Polizei versperrt. Das Spreeufer ist gesäumt von Gegendemonstranten, die so laut schreien wie sie können. Ich schreie mit, bezweifle aber, das mehr als leises Gebrabbel es über die Spree schafft.

Dafür hat die AfD gehörig Saft mitgebracht. Ihre Anlage ist so laut, dass wir jedes Wort hören. Ungläubig müssen wir über uns ergehen lassen, wie Brandenburger AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland seinen Anhängern erklärt, dass die Antifa hinter den Brandanschlägen steckt und, man dürfe es ja wohl sagen dürfen, dass vor allem die Afrikaner unsere Konsumkultur auch haben wollen und deshalb zu uns kommen.

Unsere Proteste sorgen zumindest dafür, dass wir diesen Müll nicht selber hören müssen. Als Highlight schafft es ein friedlicher Antifa auf die andere Seite und wird über die Brücke, eine große rote Flagge schwenkend, zurück zu uns eskortiert. Ich will bis zum Ende bleiben, aber mir ist schlecht und ich kann diese verbale Gülle nicht mehr ertragen. Obwohl meine Beine mich kaum noch tragen, entscheide ich mich für einen Herbstspaziergang nach Hause, durch das bunte Laub vom Tiergarten. Irgendwie muss man das braune Zeug ja auch wieder abwischen.